21.08.2023 | Exzellenzcluster

“Die Quantenphysik befindet sich an einem Wendepunkt”

Österreich hat sich als internationaler Hotspot der Quantenforschung etabliert. ÖAW-Quantenphysikerin Francesca Ferlaino erklärt, wie es auch mit dem neuen Exzellenzcluster "Quantum Science Austria" des FWF gelingen soll, die heimische Quantenforschung auf der Überholspur zu halten - und welchen großen Fragen der Quantenphysik man sich stellt.

Fotografie einer Lupe, durch die ein grüner Laserstrahl geschickt und gebrochen wird
Experimentell und theoretisch hat die Quantenforschung in den vergangenen Jahren enorme Fortschritte gemacht. © AdobeStock

Österreichs Quantenforschung ist Weltklasse - das hat nicht zuletzt die Verleihung des Physik-Nobelpreises an Anton Zeilinger 2022 bestätigt. Dazu beitragen, dass die heimische Grundlagenforschung diese Position festigen kann, wird der im Sommer 2023 gestartete Exzellenzcluster "Quantum Science Austria". Finanziert vom Wissenschaftsfonds FWF, bündeln darin mehrere wissenschaftliche Einrichtungen des Landes ihre Expertise, um den Austausch und Informationsgewinn zu stärken. Francesca Ferlaino, wissenschaftliche Direktorin des Instituts für Quantenoptik und Quanteninformation Innsbruck der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und ÖAW-Mitglied, repräsentiert in diesem quantenphysikalischen Großvorhaben die Akademie. Im Interview erklärt sie, wo die Forschungsschwerpunkte liegen und wie Österreich seine Spitzenposition in der Quantenforschung sogar ausbauen könnte.

Quantenphysikalische Netzwerke

Österreich war historisch gesehen immer ein Zentrum der Quantenphysik."

Warum brauchen wir den neuen Quanten-Exzellenzcluster?

Francesca Ferlaino: Österreich war historisch gesehen immer ein Zentrum der Quantenphysik. Einige der Schlüsselideen sind hier entwickelt worden. Der Exzellenzcluster wird auf diesem fruchtbaren Boden aufbauen und die hervorragenden Wissenschaftler:innen im Land zusammenbringen. Es gab auch schon bisher sehr gute Quantenforschung in Österreich und im Umfeld der beiden großen Zentren in Wien und Innsbruck ist ein schönes nationales Netzwerk entstanden. Der Exzellenzcluster wird dafür sorgen, dass die Community weiter wachsen kann und wir weiterhin Spitzenforschung betreiben können.

“Quantum Science Austria” ist also nicht auf ein Institut beschränkt?

Ferlaino: Der Exzellenzcluster soll möglichst inklusiv sein und “Verschränkungen” zwischen den Forscher:innen an verschiedenen Instituten erzeugen, wenn wir im Quantenjargon bleiben wollen. Das Netzwerk im Land soll so weiter wachsen, um den Austausch von Ideen und neue Kooperationen zu fördern. Wichtig ist, dass auch kleine Forschungsgruppen einen Beitrag leisten können. Wir laden alle Quantenphysiker:innen im Land ein, sich zu beteiligen. Wir werden an den Quantenzentren in Innsbruck, Linz und Wien aktiv nach neuen Ideen suchen und diese dann sehr flexibel und kooperativ umsetzen.

Auch die Industrie und die Politik sind inzwischen auf die Quantenforschung aufmerksam geworden."

Bekommen Quantenforscher:innen mehr Aufmerksamkeit als früher?
Ferlaino: Die Quantenphysik befindet sich derzeit an einem Wendepunkt, weshalb der Exzellenzcluster auch genau zur rechten Zeit kommt. Auch die Industrie und die Politik sind inzwischen auf die Quantenforschung aufmerksam geworden, wie zum Beispiel am EU-Flaggschiffprojekt zum Thema zu erkennen ist.

Verständnis vor Anwendung

Sind vielversprechende Anwendungen wie Quantencomputer oder Quantensensoren der Grund?
Ferlaino: Viele interessante praktische Anwendungen stehen kurz davor, Realität zu werden. Das Hauptziel des Exzellenzclusters ist aber, unser Verständnis der Quantenmechanik weiter auszubauen. Es gibt grundlegende Probleme, die gelöst werden müssen, bevor die Quantenphysik uns auf die nächste technologische Stufe heben kann. Jede neue Technologie ist am Ende eine Folge von erfolgreicher Grundlagenforschung, wie wir sie am Cluster betreiben wollen. In weiterer Folge werden daraus aber hoffentlich viele neue Anwendungsmöglichkeiten entstehen.

Was ist der Grund für den neuen Quantenoptimismus?
Ferlaino: Wir haben technisch in den vergangenen Jahren einen großen Schritt nach vorne gemacht und hervorragende neue Methoden entwickelt, um Quantensysteme exakt zu kontrollieren. Dadurch können wir jetzt komplexere und ergiebigere Experimente durchführen, die neue Einsichten erlauben und uns praktischen Anwendungen einen Schritt näher bringen.

Wo werden die Schwerpunkte des Exzellenzclusters liegen?
Ferlaino: Es gibt drei große Säulen: Quantengravitation, Quanteninformation und Quantenvielteilchensysteme.

Relativitätstheorie

Quantengravitation ist seit Einstein eine der großen offenen Fragen der Physik. Sind wir einer Antwort schon näher gekommen?
Ferlaino: Forschung an der Schnittstelle von Quantenmechanik und Gravitation kann die Quantennatur der Raumzeit enträtseln. Wir wissen, dass die Quantenmechanik und die Relativitätstheorie sich irgendwo berühren müssen, aber noch ist unklar, wie und wo genau. Die Quantisierung des Gravitationsfeldes war lange Zeit Metaphysik, weil es keine Möglichkeit gab, die Theorien zu prüfen. Mittlerweile sind unsere Methoden aber präzise genug, um diesen Bereich experimentell zu erforschen. Wir können Quantensysteme bauen, die so rein sind, dass wir selbst kleinste Einflüsse durch Gravitationsfelder nachweisen können. Zudem gibt es neue theoretische Ansätze, die unsere Experimente leiten. 

Was sind die offenen Fragen im Bereich Quanteninformation?
Ferlaino: Das Gebiet ist sehr theoriegetrieben und hat einen ganz neuen Blickwinkel auf viele Probleme in der Physik ermöglicht. Im Cluster wollen wir untersuchen, wie verschiedene physikalische Systeme Quanteninformation verarbeiten können und wo die jeweiligen Stärken und Schwächen liegen. Das Ziel ist es, hybride Systeme zu bauen, die die Vorteile verschiedener Plattformen kombinieren können. Zudem gibt es auch im Bereich der Quantenlogik neue Optionen: Wir können Quanteninformation nicht nur mit Qbits verarbeiten, sondern auch mit Qdits, die mehr Freiheitsgrade aufweisen und deshalb eine höhere Informationsdichte erlauben. Die Grundlagen dafür müssen aber noch ausgearbeitet werden.

Wechselwirkungen

Wenn wir die Grundlagen besser erforschen, können wir Vielteilchensysteme in Zukunft gezielter nutzen."

Worum geht es bei der dritten Säule?
Ferlaino: Die dritte Säule beschäftigt sich mit Komplexität und der Frage, wie man im Labor Quantensystemen mit vielen Elementen bauen kann. Damit die Quantenphysik ihren Lauf nehmen kann, brauchen wir viele identische kleine Objekte, die wechselwirken können. Solche Systeme können unter anderem auch physikalische Gesetzmäßigkeiten abbilden, die wir dann durch Beobachtungen besser verstehen können. Als Modelle kommen hier exotische Aggregatzustände von Materie ins Spiel, zum Beispiel ultrakalte Gase. Viele dieser neuen Phasen sind derzeit noch nicht ausreichend erforscht und oft so komplex, dass Berechnungen uns nicht weiterbringen können. Die Effekte können wir aber trotzdem schon nutzen: Supraleitung ist ein Phänomen, das auf solchen Phasenübergängen basiert. Wenn wir die Grundlagen besser erforschen, können wir solche Vielteilchensysteme in Zukunft gezielter nutzen.