26.04.2024 | Karl Kraus

Gegen Fake News & Korruption: Was Rechtsakten über Karl Kraus erzählen

Der bekannte Autor trug auch auf juristischem Parkett viele Kämpfe aus. Ein neues Buch beleuchtet nun zum 150. Geburtstag von Karl Kraus dessen Prozesse und Rechtsstreitigkeiten aus einer Vielfalt an wissenschaftlichen Perspektiven. Nicht nur für Kraus-Fans eine erhellende Lektüre.

Die Rechtsakten von Karl Kraus werden in einem neuen Buch aus biographischer, literaturwissenschaftlicher und politischer Perspektive beleuchtet. © Charlotte Joël/Bildarchiv Austria/Österreichische Nationalbibliothek

Karl Kraus führte Zeit seines Lebens erbitterte juristische Kämpfe – unter anderem gegen die Presse. So gründete der berühmte Autor die Zeitschrift „Die Fackel“ und trat ab 1922 auch, gemeinsam mit dem Rechtsanwalt Oskar Samek, rechtlich für seine Ideen ein. Nicht weniger als 215 Aktenkonvolute mit rund 10.000 Blättern umfassen die Rechtsakten zu Karl Kraus, die die juristischen Streitigkeiten des bekannten Autors dokumentieren.

In einem neuen Buch, herausgegeben von Isabel Langkabel und Laura Untner vom Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), setzen sich Literatur- und Kulturwissenschaftler:innen mit diesen Rechtsakten auseinander – aus biographischer, literaturwissenschaftlicher und politischer Perspektive. Zum 150. Geburtstag des Autors erklären die Forscher:innen, warum die Akten aus der Kanzlei Oskar Samek nicht nur für die Kraus-Forschung relevant sind, sondern allgemein für Untersuchungen der Wiener Moderne und des frühen 20. Jahrhunderts.

Glücksfall: Kraus’ Anwaltsakten blieben erhalten

Was macht diese Akten auch heute noch relevant?

Laura Untner und Isabel Langkabel: Karl Kraus wäre dieses Jahr, am 28. April 2024, 150 Jahre alt geworden. Wir nutzen diesen Anlass, um die bislang wenig erforschten Rechtsakten Karl Kraus’ näher zu beleuchten. Das ist auch heute noch sowohl für Kraus-Forscher:innen als auch allgemein für Literatur- und Kulturwissenschaftler:innen zu Wien um 1900 relevant. Außerdem sind die Akten für Rechtshistoriker:innen interessant, da es sehr selten ist, dass Anwaltsaktenbestände überliefert sind. Im Fall von Karl Kraus haben wir diesen Umstand Oskar Samek zu verdanken, der die Akten 1938 ins Exil nach New York mitnahm. Nach seinem Tod im Jahr 1959 gingen die Akten als Legat an das Karl Kraus-Archiv in der Wienbibliothek im Rathaus, wo sie auch heute noch aufbewahrt werden.

Kraus gewann mehr als die Hälfte der größeren Verhandlungen mithilfe seines Anwalts.

Worin bestehen die Rechtsakten, mit denen Sie sich in dem neuen Buch auseinandersetzen?

Untner und Langkabel: Die Akten dokumentieren in der Form von Korrespondenzstücken, Klage- und Urteilsschriften, Zeitungsausschnitten, Kostenaufstellungen und Ähnlichem vor allem Medien-, Beleidigungs- und Urheberrechtsdelikte sowie etliche Berichtigungsforderungen an Zeitungen. Zumeist trat Kraus selbst als Kläger auf. Mehr als die Hälfte der größeren Verhandlungen gewann er mithilfe seines Anwalts.

Streit mit Wiener Polizeipräsident

Können Sie ein Beispiel nennen?

Untner und Langkabel: Die Akte 100 dokumentiert den Streit mit dem damaligen Wiener Polizeipräsidenten, Johann Schober. Kraus forderte ihn unter anderem mit Plakaten, die er in der Wiener Innenstadt anbringen ließ, zum Rücktritt auf. Grund dafür waren die Ereignisse des 15. Juli 1927: Arbeiter:innendemonstrationen vor dem Justizpalast wurden von der Polizei – unter Anweisung Johann Schobers – gewaltvoll niedergeschlagen. Kraus kritisierte das brutale Vorgehen der Ordnungskräfte und sammelte Material, um diese zur Verantwortung zu ziehen.

Fake News und Korruption

Welche Parallelen sehen Sie zwischen heute und damals?

Untner und Langkabel: In Zeiten von Fake News und Deep Fakes ist insbesondere die Medienkritik in den Rechtsakten auch heute noch relevant. Kraus enttarnte zeitlebens Falschinformationen und richtete sich gegen manipulative oder korrupte Medien und verband diese Kritik häufig mit zeitgenössischen, aber auch zeitlosen sprach- und gesellschaftskritischen Aspekten. Oftmals wurden seine juristischen Auseinandersetzungen, die in den Rechtsakten abgebildet sind, auch in der „Fackel“thematisiert. Diese wiederum wirkte weit über Österreich hinaus und beeinflusste viele wichtige kulturelle Persönlichkeiten.

Nicht nur Wohltäter, auch Schattenseiten

Die Akten demonstrieren, wie ausdauernd und hartnäckig der Wiener Satiriker war.

Was lernen wir daraus über Karl Kraus?

Untner und Langkabel: Die Akten zeigen, dass Kraus seine Strategie im Kampf gegen Korruption, die Presse und seine Zeitgenoss:innen ab den 1920er-Jahren geändert hat. Sein Sprachrohr „Die Fackel“, deren Texte er seit 1911 komplett allein verfasste, genügte offensichtlich nicht mehr. Auch darf man nicht außer Acht lassen, dass Kraus mit der Ersten Republik offenbar dem Justiz-System mehr vertraute als in der Zeit vor 1921. Die Akten demonstrieren zudem eindrücklich, wie ausdauernd und hartnäckig der Wiener Satiriker war: In vielen Fällen gingen Samek und Kraus in Berufung, in anderen Fällen enthalten die Akten knapp 200 Dokumente. Gleichzeitig lernen wir durch die Akten einen juristisch versierten Kraus kennen, der so manche Klageschrift selbstständig – also ohne Samek – verfasst hat. Das ist vor allem deshalb erstaunlich, weil Kraus bekanntermaßen sein Jus-Studium als junger Student abgebrochen hat.

Kraus war also ein juristischer Kämpfer für das Gute?

Untner und Langkabel: Die Akten bilden auch Schattenseiten eines Karl Kraus ab, der in der Öffentlichkeit mit seinen Spenden an Waisenhäuser oder Kriegsveteranenvereine durchaus als Wohltäter auftrat. Ein paar Akten überliefern uns aber, wie Kraus mit seinem Anwalt Samek von Freund:innen wie Berthold Viertel oder dem Ehepaar Cecilie und Peter Lorre geliehenes Geld zurückverlangte. Gerade das Schauspieler:innen-Ehepaar Lorre aber lebte zu dem Zeitpunkt am Existenzminimum. Obwohl Kraus dies wusste, forderte er die geliehene Summe standhaft zurück. Dieses Vorgehen scheint über die Verluste des Verlags „Die Fackel“ erklärbar – nicht aber entschuldbar. Derlei ökonomische Aspekte werden auch in dem Band, und zwar im Kontext der Auseinandersetzungen mit der nationalsozialistischen Presse, thematisiert.

 

 

AUF EINEN BLICK

Isabel Langkabel und Laura Untner sind die Herausgeberinnen von Karl Kraus und die Rechtsakten der Kanzlei Oskar Samek (Böhlau 2024). 

Zum Buch

Isabel Langkabel ist Literaturwissenschaftlerin und Editionsphilologin an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt und der Universität Heidelberg. Laura Untner ist digitale Literaturwissenschaftlerin und Editionsphilologin am Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und promoviert an der Universität Wien.