29.12.2023 | ERC Grant

Message Control der Pharaonen im Alten Ägypten

Der Schlüssel zur Enthüllung der Geheimnisse des Alten Ägyptens liegt in bruchstückhaft überlieferten Listen: den Königslisten. Was die chronologische Abfolge der Pharaonen, die das Land über Jahrtausende hinweg regierten, mit investigativem Journalismus und Message Control zu tun haben, erforscht ÖAW-Ägyptologe Roman Gundacker mit einem hochdotierten Grant Europäischen Forschungsrats.

Königslisten aus dem Alten Ägypten erzählen von Herrscherdynastien und Pharaonen - und waren immer auch ein Propagandawerk. © Wikimedia Commons

Von monumentalen Pyramiden über kunstvolle Hieroglyphen: Die ägyptische Zivilisation hat über Jahrtausende hinweg die Menschheit fasziniert. Einzigartige Einblicke in die politische und historische Entwicklung des Alten Ägypten bieten neben Inschriften und Papyri die jahrtausendealten Königslisten. Diese historischen Aufzeichnungen sind in Form von Steintafeln, Papyri oder auf Tempelwänden bruchstückhaft erhalten und erzählen von Herrscherdynastien und Pharaonen, die Ägypten im Altertum regierten.

Pharaonen wie Cheops, der Erbauer der Großen Pyramide von Gizeh, oder legendäre Herrscher wie Tutanchamun oder Ramses II. sind darauf gelistet. Doch abgesehen von den Regierungszeiten der ägyptischen Superstars spiegeln die Listen auch komplexe Geschichten von Macht, Einfluss und Message Control wider. Denn: In die offizielle Geschichtsschreibung der Königslisten flossen immer auch Ideologie und Propaganda der jeweiligen Könige ein. Und: Mit diesen Listen wurde Geschichte geschrieben.

Alte Quellen zum Sprechen bringen

Davon erzählt Roman Gundacker, Ägyptologe am Österreichischen Archäologischen Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Als Philologe hat er im Rahmen eines Starting Grants des European Research Council (ERC) die schriftlichen Zeugnisse aus drei Jahrtausenden überprüft und in ihren kulturellen und historischen Kontexten neu ausgewertet. „Das wirklich Faszinierende ist, alte Quellen zum Sprechen zu bringen, um Fakten zu suchen und auch um Botschaften aufzunehmen, die vor Jahrtausenden mit einer bestimmten Intention formuliert wurden“, sagt Gundacker.

Gemeinsam mit seinem Team hat er sich in den vergangenen fünf Jahren auf die schriftlichen Quellen und ihre Kontexte konzentriert und ist zu den Texten selbst zurückgegangen. Der Bogen spannt sich dabei von zeitgenössischen Quellen der Frühzeit bis zu den Königslisten der griechisch-römischen Zeit, also von Inschriften des dritten Jahrtausends v. Chr. über den Palermostein, der Jahr für Jahr Eintragungen aufweist, bis zu den Fragmenten des Geschichtswerkes Manethos, das um 280 v. Chr. in griechischer Sprache für die Ptolemäerkönige verfasst wurde und in Handschriften des zehnten Jahrhunderts n. Chr. stark reduziert überliefert ist.

1.000 Puzzleteile ohne Vorlage

Gundacker hat unzählige Mosaiksteinchen zu einem großen Ganzen zusammengefügt, von langen Inschriften bis zu sogenannten Glossen in Königslisten. Das sind ein paar wenige Zeilen umfassende Anmerkungen über bestimmte Ereignisse, die tatsächlich oder angeblich in einer bestimmten Regierung geschehen sind, darunter auch solche voller antiker Propaganda, wo große Siege mitgeteilt werden, die tatsächlich harmlose Scharmützel waren, erzählt der Philologe.

„Um bestimmen zu können, was in solchen Listen dennoch an chronologischem Wert vorhanden ist, muss man verstehen, in welchem kulturellen Umfeld solche Texte geschrieben wurden“, sagt Gundacker. Je nach Intention, ist auch die Bedeutung der Zahlen unterschiedlich, erklärt der ÖAW-Forscher und gibt ein Beispiel: „Für die früheste Zeit ist kaum ein König verzeichnet, der weniger als sieben Jahre regiert haben soll – und verdächtig viele sollen sieben Jahre regiert haben. Ist die Zahl sieben also eine Chiffre für kurz, während ansonsten Jahrzehnte an Regierungszeit anfallen konnten?“

Check, Re-Check, Double-Check

Ein weiteres Beispiel: Manchmal finden sich auch verdächtig viele runde Regierungszeiten von 30 oder 40 Jahren. Bedeutsam ist hier die Botschaft, die eine solche Zahl transportieren sollte, etwa, dass ein König eine Generation lang geherrscht hat. Gundacker: „Neben Einträgen dieser Art finden sich in den Listen aber mehrheitlich Angaben, die der Überprüfung an zeitgenössischen Quellen standhalten. Die Schwierigkeit besteht aber oft darin, die einen von den anderen zu unterscheiden.“

Gundacker vergleicht seine Arbeit mit jener von Investigativjournalist:innen: Für eine Aufdeckergeschichte müssen sie jedem Gerücht nachgehen, Kontexte recherchieren, Kontaktpersonen befragen und Anknüpfungspunkte zusammenfügen. Auch in der Forschung muss jedem Hinweis nachgegangen werden, so der Wissenschaftler. „Aus dem Alten Ägypten gibt es keine Auskunftspersonen mehr, aber die Hinterlassenschaft Ägyptens an sich bietet Anknüpfungspunkte, mit denen wir der Geschichte näherkommen und manchmal die Sache sogar dingfest machen können.“ Für Gundacker steht fest: „Wir haben neue Perspektiven erschlossen, die für die Zukunft durchaus wegweisend werden können.“

 

AUF EINEN BLICK

ERC-Projekt „Challenging Times“