29.11.2023 | Weltraumforschung

WELTRAUMTELESKOP CHEOPS ENTSCHLÜSSELT GEHEIMNISSE EINES FERNEN PLANETENSYSTEMS

Ein internationales Forschungsteam mit Beteiligung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften hat die Umlaufbahnen von sechs Planeten außerhalb unseres Sonnensystems entschlüsselt, die seit der Entstehung des Planetensystems vor mehr als fünf Milliarden Jahren weitgehend unverändert geblieben sind. Die dazugehörige Studie wurde in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.

2019 startete eine Rakete im Rahmen der ESA-Mission Cheops ins All. Seither hat der "Characterising Exoplanet Satellite" bereits zahlreiche Entdeckungen ermöglicht. © ESA - S. Corvaja

Astronom:innen des Grazer Instituts für Weltraumforschung (IWF) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften sind dem geheimnisvollen „Walzertanz“ weitentfernter Planeten auf die Spur gekommen. Rund 100 Lichtjahre entfernt liegt der helle Stern HD 110067 im nördlichen Sternbild Coma Berenices. Das mysteriöse Planetensystem, das ihn umrundet, stellt Forscher:innen seit Jahren vor ein Rätsel. Im Jahr 2020 entdeckte der NASA-Satellit TESS mit Hilfe der Transit-Methode Verdunkelungen des Sterns, die darauf hindeuteten, dass Planeten vor ihm vorbeiziehen. Eine erste Analyse ergab zwei mögliche Planeten, deren Umlaufzeiten nicht exakt bestimmt werden konnten.

Zwei Jahre später nahm TESS den Stern erneut ins Visier und konnte dabei eine Reihe von Transits beobachten. Es war jedoch immer noch schwierig, die Anzahl der Planeten oder ihre Bahnen festzulegen. Schließlich identifizierten die Astronom:innen die beiden innersten Planeten – „b“ und „c“ – mit Umlaufzeiten von 9 bzw. 14 Tagen. Für die anderen vier entdeckten Planeten konnten jedoch keine Schlussfolgerungen gezogen werden, da zwei von ihnen mit einer großen zweijährigen Lücke in den Daten einmal im Jahr 2020 und einmal im Jahr 2022 vorbeizogen, während die beiden anderen nur einmal im Jahr 2022 vorbeizogen.

Präzisionsmessung mit CHEOPS

Die Lösung des Rätsels um diese vier zusätzlichen Planeten gelang schließlich dank der Beobachtungen durch das europäische Weltraumteleskop CHEOPS. Während TESS darauf abzielt, den gesamten Himmel nach und nach abzusuchen, um kurzperiodische Exoplaneten zu finden, ist CHEOPS eine zielgerichtete Mission, die sich mit äußerster Präzision auf jeweils einen einzelnen Stern konzentriert. Mit den CHEOPS-Beobachtungen konnte die Periode des Planeten „d“ mit 20 Tagen berechnet und mehrere Möglichkeiten für die verbleibenden drei äußeren Planeten „e“, „f“ und „g“ ausgeschlossen werden.

„Walzertanz“ der Planeten führt zur Bahnbestimmung

Mit der Bestätigung des dritten Planeten war der Schlüssel für das gesamte System gefunden. Denn nun war klar, dass sich die drei Planeten in einer orbitalen Resonanz befinden: Während der innerste Planet den Stern neunmal umkreist, führt der zweite sechs und der dritte vier Umrundungen durch. Durch die Kombination der vorhandenen Beobachtungsdaten von TESS und CHEOPS mit Modellrechnungen konnten die Wissenschaftler:innen vorhersagen, dass die drei äußeren Planeten Umlaufzeiten von 31, 41 und 55 Tagen haben.

Eine erneute Analyse der Daten von TESS ergab schließlich zwei versteckte Transits der Planeten „f“ und „g“, genau zu den Zeiten, die von den Vorhersagen erwartet wurden. Damit waren die Umlaufzeiten aller sechs Planeten bestätigt. Sie umkreisen ihren Mutterstern in perfekter Harmonie, wie dieses Video (© Universität Bern/Hugh Osborn) zeigt. 

Gesetze der Himmelsmechanik

In der Himmelsmechanik spricht man von einer (Bahn-)Resonanz, wenn zwei oder mehrere Himmelskörper periodisch wiederkehrenden gravitativen Einflüssen unterliegen. Sie wird von den Umlaufzeiten der beteiligten Himmelskörper verursacht, deren Verhältnis zueinander durch niedrige natürliche Zahlen beschrieben werden kann, beispielsweise durch 3:2.

Die Entdeckung resonanter Systeme auf der Umlaufbahn ist äußerst wichtig, da sie Aufschluss über die Entstehung und anschließende Entwicklung des Planetensystems geben. Systeme neigen dazu, sich in Resonanz zu bilden, können aber leicht gestört werden. So können beispielsweise ein sehr massereicher Planet im System, eine nahe Begegnung mit einem vorbeiziehenden Stern oder ein gigantischer Einschlag das Gleichgewicht beeinflussen.

Eine Besonderheit des Planetensystems um HD 110067 ist seine Resonanzkette. Unter den über 5000 Exoplaneten, die um andere Sterne als unsere Sonne kreisen, sind Resonanzen nicht selten, ebenso wenig wie Systeme mit mehreren Planeten. Extrem selten sind jedoch Systeme, bei denen sich die Resonanzen über eine so lange Kette von sechs Planeten erstrecken, wie es bei HD 110067 der Fall ist.

HD 110067 bleibt spannendes Forschungsobjekt

Das Studium von Mehrplanetensystemen bietet die Möglichkeit, die Ergebnisse der Planetenentstehung und -entwicklung zu untersuchen und dabei Anfangsbedingungen und Umgebung zu überprüfen. Planeten in Resonanz sind besonders wertvoll, da sie eine seit ihrer Geburt praktisch unveränderte Systemarchitektur besitzen.

Man glaubt, dass nur etwa ein Prozent aller Systeme die Resonanz beibehält. Daher lädt HD 110067 zu weiteren Untersuchungen ein, denn der Stern zeigt den Forscher:innen die ursprüngliche Konfiguration eines Planetensystems, das über Milliarden von Jahren unangetastet geblieben ist. „HD 110067 bietet optimale Voraussetzungen für die Modellierung von Planetenatmosphären, wie wir sie am IWF durchgeführt und in der Studie beschrieben haben“, setzt Fossati fort.

HD 110067 ist das hellste bekannte System mit vier oder mehr Planeten. Daher ermöglicht es den Astronom:innen, qualitativ hochwertige Daten zu gewinnen. Die gemessene Masse und Dichte von drei der Planeten lässt auf das Vorhandensein großer wasserstoffdominierter Atmosphären schließen. „Somit sind sie ideale Kandidaten für die Untersuchung der Zusammensetzung ihrer Atmosphären mit dem James-Webb-Weltraumteleskop“, betont IWF-Direktorin Christiane Helling.

 

AUF EINEN BLICK

Institut für Weltraumforschung

Publikation

R. Luque, et al.: A resonant sextuplet of sub-Neptunes transiting the bright star HD 110067Nature, doi: 10.1038/s41586-023-06692-3, 2023.