Expert:innenvorträge und Workshop für Studierende, Jugendliche und junge Erwachsene

Ein Bericht von Matthias Karmasin, Walter Peissl, Barbara Prainsack, Barbara Schober, Niki Popper und Nikolaus Forgó


Ziel der Veranstaltung „Digitalisierung und Krise“ im Rahmen des Colloquium Digitale „Digitalisierung, Mensch, und Gesellschaft“ am 20.04. war es, den Zusammenhang von Krisen und Digitalisierung aus unterschiedlichen disziplinären Perspektiven zu diskutieren, und dabei die vor allem (aber nicht exklusiv) aus der Corona Pandemie gewonnen Befunde produktiv für die Zukunft zu nutzen. Das Design der Veranstaltung wollte dabei vor allem auf junge Menschen fokussieren und nicht nur über ihre Lebenswelt referieren, sondern mit ihnen ins Gespräch kommen. Die Einladung richtete sich deswegen auch besonders an jüngere Menschen. Die Ergebnisse der Inputs in Form von Impulsvorträgen, Diskussionsrunden und interaktiven Workshops sind in Kürze:

Nutzung persönlicher Daten: wann ist sie nützlich? Wann ist sie gefährlich? Konkrete Beispiele mit Barbara Prainsack

Unser Ausgangspunkt war die Frage gewesen, wie das Sammeln und die Nutzung von Daten so organisiert werden kann, dass zugleich die Interessen von Personen und Gruppen geschützt werden und öffentlicher Nutzen geschaffen wird. Dabei gibt es zwei Dinge zu beachten: Erstens stehen individuelle und kollektive Interessen nicht prinzipiell im Widerspruch zu einander. Während es Situationen gibt, in dem diese klar in einem Spannungsverhältnis stehen (z.B. die Registrierung einer ansteckende Krankheit gegen den Willen der betroffenen Person) sind viele Situationen so gelagert, dass Datennutzung im öffentlichen Interesse auch einzelnen Personen und Gruppen nutzt, und umgekehrt. Vor diesem Hintergrund ist das Ausspielen von Werten wie individueller Freiheit gegen kollektive Werte wie öffentlicher Gesundheit ein besorgniserregendes Phänomen, das sich während der COVID-19 Pandemie noch weiter zugespitzt hat, und das populistischen und autoritären Zwecken dient. (In rechtspopulistischen Kontexten ist die Mobilisierung der “persönlichen Freiheit” kein Aufruf zum aus wirklicher persönlicher Entscheidungsfreiheit unweigerlich entstehendem Pluralismus, sondern zur Unterordnung unter den Willen des Anführers, der für sich beansprucht den vermeintlichen Willen des Volkes zu vertreten). Der zweite Aspekt, der bei einer vom Ziel einer gerechten und dem Gemeinwohl dienenden Datennutzung beachtet werden sollte, ist die Tatsache, dass viele jener Praktiken, die Menschen am meisten schaden, heute gar nicht verboten sind. An manchen Stellen können diese Praktiken sogar die Demokratie gefährden, wie etwa bestimmte Formen der Manipulation von Nutzer*innen digitaler Plattformen im Kontext von Wahlen. Das Internet of Things (IoT) wird die Möglichkeiten für unterschiedliche Formen politischer Manipulation - und von “foreign interference” - noch erweitern. Unsere regulatorischen Instrumente sind heute noch stark vom Denken des Papierzeitalters geprägt - das digitale Zeitalter braucht Regulatorien.

Krise und Recht: Welchen Beitrag zur Bewältigung von Krisen sollen und können Rechtswissenschaften leisten? mit Nikolaus Forgó

Im Vortrag wurden zunächst einige der Grundannahmen der aktuellen Covid-Gesetzgebungslage kontextualisiert und hinterfragt - etwa die Topi von der "überstandenen Pandemie" von der "Normalisierung der Rechtslage" und von der Notwendigkeit, "mit dem Virus leben zu lernen". Im Anschluss wurde beispielhaft aufgezeigt, wie sich Lücken in der Digitalisierung in konkreten Covid-Gesetzgebungsakten ausgewirkt hatten und zu Unterschreitungen der üblichen rechtsstaatlichen Standards, insbesondere im Bereich des Datenschutzrechts geführt hatten und führen und inwiefern dies zu "Vertrauenskrisen" im Recht führen kann. Abschließend thematisierte das Referat die Bestimmung des schwierigen Verhältnisses von Forschungsfreiheit, Datenschutz und Pandemiebekämpfung "nach der Pandemie".

Im Workshop diskutierten Studierende der Rechtswissenschaften und anderer Fächer mit dem Vortragenden, ausgehend von einer kritischen Analyse des Referats, die Funktion und die Grenzen des Rechts als Instrument der Krisenbekämpfung. Relevant waren dabei vor allem Elemente der Bestimmung einer (Ausnahme-)Situation als Reaktionen erfordernde "Krise", und im Anschluss Probleme der Grenzsetzung, der Legitimation und der Stabilisierung rechtsstaatlich determinierter Reaktionsmuster während (und nach) der Krise. Besonders wichtig erschien der Gruppe dabei die Doppelanforderung an das Recht, einerseits die notwendige Flexibilität bei der Krisenreaktion zu ermöglichen, dabei jedoch andererseits stabilisierend zu wirken und die Unterschreitung rechtsstaatlicher (Grundrechts-)Garantien zu verhindern. Bedeutsam erschien den Teilnehmenden auch die durch den Workshop umgesetzte Notwendigkeit der Partizipation junger Menschen an den rechtlichen und den ihnen zugrundeliegenden politischen Diskursen zur Bewältigung von Krisen.

(Hoch-)Schule und Covid19 aus bildungspsychologischer Sicht: Wie soll die Bildung der Zukunft aussehen? mit Barbara Schober

Zentrale Diskussionsergebnisse aus bildungspsychologischer Sicht (Leitung Barbara Schober?): Die Pandemie hat große Herausforderungen sichtbar gemacht hat, die es im Bildungssystem schon vorher gab. Gleichzeitig wurde sichtbar, wie wichtig Schule und Universität - auch für Wohlbefinden - sind. Es hat sich zudem gezeigt, wie bedeutsam die Erfüllung aller psychologischen Grundbedürfnisse (nach Kompetenz, Autonomie und sozialer Eingebundenheit) auch in der Pandemie war. Hier liegt eine wichtige Quelle der Resilienz. Auch selbstreguliertes Lernen und die systematische (Weiter-)Entwicklung digitaler Kompetenzen sind hoch relevant. Bildung der Zukunft braucht insgesamt einen erweiterten Kompetenzfokus (z.B. Veränderungen aktiv angehen können – Problemlösen/ Komplexität aushalten). Es braucht nicht zuletzt in Folge der Pandemie auch mehr Maßnahmen, um Chancengleichheit im Bildungssystem systematisch umzusetzen. Insgesamt ist der Bedarf evident, jetzt sehr systematisch an pandemic preparedness zu arbeiten - auch im Bildungssystem.

Modellierungsprozesse und Daten: Wie können wir aus ihnen – vertrauenswürdig, transparent und reproduzierbar – Wissen für die Zukunft generieren? mit Niki Popper

Ob in Krisenzeiten oder im täglichen, gesellschaftlich-politischen Diskurs: die Anwendung von modellbasierter Entscheidungsunterstützung kann nur bei geeigneten Rahmenbedingungen funktionieren. Modell müssen qualitativ hochwertig sein. Das heißt: sie müssen transparent, nachvollziehbar, reproduzierbar und qualitätsgesichert, also publizier- und diskutierfähig, sein. In der Diskussion wurden zwei wichtige Aspekte angesprochen:

Daten sind immer – und zwar trotz aller Sorgfalt und Expertise bei der Modellerstellung – mit Unsicherheit behaftet, und somit auch die Modelle, die auf ihnen basieren. Die Herausforderung liegt darin, Effekte so abzubilden, wie es der aktuelle Wissensstand und Evidenz zulassen.  Gleichzeitig müssen die Modelle immer die Möglichkeit bieten, Änderungen jederzeit einarbeiten und abbilden zu können. Die Covid-Pandemie hat eindrücklich gezeigt, wie schwierig es insbesondere ist, solche Änderungen und ihre Effekte in weiterer Folge auch zu kommunizieren.

Als zweiter wichtiger Aspekt wurde diskutiert, wie wichtig gemeinsam definierte Outcomes sind. Oftmals scheitert die modellgestützte Entscheidungsfindung an der klaren Festlegung solcher Größen: anstelle zu überlegen, welche Effekte von Relevanz sind, werden „Äpfel mit Birnen verglichen“. Positiv hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die Gesundheitssystemforschung, die seit vielen Jahren vorzeigt, wie die Definition von exakten Outcomes funktionieren kann.

Sofern die genannten Punkte berücksichtigt werden, können Modelle eine transparente Diskussion unter Stakeholdern deutlich bereichern bzw. manches Mal überhaupt erst ermöglichen: auf Basis der Abbildung von Annahmen und Einschätzungen können diverse Hypothesen und deren (meist komplizierte und oftmals dynamischen) Effekte gegenübergestellt werden. Den Modellersteller:innen kommt dabei eine heikle Rolle zu: sie müssen jederzeit darauf hinweisen, wenn Struktur oder Ergebnisse nicht kohärent sind, gleichzeitig müssen sie darauf achten, dass „ihre“ Modelle weder von Auftraggeber:innen, der Politik oder den Medien instrumentalisiert werden.